Zum Inhalt springen

Mythen-Check Folge 6: Ängste werden durch eine Histaminintoleranz ausgelöst

Häufig berichten mir Angstpatienten, bei ihnen wäre eine Histaminintoleranz diagnostiziert worden – und die sei ja bekanntlich auch für das plötzliche Auftreten von Ängsten verantwortlich. Was ist dran an so einer Diagnose?

Histamin ist vor allem erst einmal eines:

Ein körpereigener Neurotransmitter, den wir dringend zum Überleben brauchen. Vertreter der Histaminintoleranz-These schieben deshalb den schwarzen Peter vorrangig dem Histamin zu, das über die Nahrung aufgenommen wird. Betroffene sollten demzufolge vor allem Lebensmittel meiden, die viel Histamin enthalten, wie z.B.

  • Avocado,
  • Sauerkraut,
  • Meeresfrüchte,
  • Käse
  • oder auch Rotwein.

Doch genau diese Lebensmittel werden von den meisten Ernährungsberatern als besonders gesund eingestuft.  Ein Gläschen Rotwein am Abend soll vor koronaren Herzerkrankungen schützen, Avocados enthalten besonders viel wertvolle Fettsäuren und Sauerkraut wird sogar als probiotische Gesundheitsmedizin bezeichnet.

Was stimmt denn nun?

Ein Blick in die Wikipedia sorgt für noch mehr Verwirrung. Hier wird nämlich klargestellt, dass es keine wissenschaftlichen Nachweise für die Existenz einer Histaminintoleranz gibt. Dennoch wird eine Liste mit möglichen Symptomen aufgeführt, die durch die Aufnahme von Histamin über die Nahrung ausgelöst werden sollen. Dort finden wir unter anderem:

  • Hautrötung und Juckreiz
  • Hitzegefühle, Kopfschmerzen und Schwindel
  • Atembeschwerden und Halsschmerzen
  • Durchfall, Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Magenstechen
  • Bluthochdruck, Herzrasen und Herzrhythmusstörungen
  • Erschöpfungszustände, Müdigkeit und Schlafstörungen
  • Verwirrtheit, Nervosität und depressive Verstimmungen

Schon beim ersten Überfliegen dieser Symptome wird klar: Hier wird das Leiden eines Angstpatienten beschrieben. Höchste Zeit also, dass wir etwas Licht ins Dunkel dieses Angst-Mythos bringen: Kann eine Histaminintoleranz die Ursache einer Angststörung sein oder nicht?

Am einfachsten lässt sich das klären, wenn man zuerst einmal die Betroffenen selbst fragt. Ich hatte im Laufe der vergangenen 5 Jahre bislang 183 Patienten bei mir in der Praxis, die beim Erstgespräch angaben, unter einer Histaminintoleranz zu leiden. 76 davon änderten trotz dieser Diagnose nichts an ihrem Essverhalten.  Die restlichen 107 versicherten mir hingegen glaubhaft, sich über einen längeren Zeitraum hinweg histaminarm ernährt zu haben. Allerdings beobachteten gerade einmal 3 Personen nach dieser Ernährungsumstellung einen leichten Rückgang der Ängste. Dies war für mich ein erster Hinweis, dass die Histaminintoleranz-These eventuell einige Schwächen haben könnte.

Werfen wir nun einen Blick auf die beiden Methoden, mit denen eine mutmaßliche Histaminintoleranz getestet wird.

  • Über einen Bluttest wird dafür sowohl der Histamingehalt im Blut untersucht, als auch das Vorkommen von Diaminoxidase (kurz DAO), einem Eynzym, das für den Histaminabbau zuständig ist. Je mehr Histamin und/oder je weniger DAO sich im Blut befindet, umso eher wird eine Intoleranz vermutet.
  • Der zweite Test untersucht, wie viel Histamin sich noch im Stuhl und somit im Darm befindet. Auch hier gilt ein erhöhter Histaminwert als Indiz für eine Histaminintoleranz.

Wer mein Buch „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden“ kennt, erinnert sich vielleicht daran, dass wir Histamin tatsächlich bei jedem ängstlichen Gedanken ausschütten – und das aus gutem Grund. Dieser Neurotransmitter sorgt nämlich bei Gefahr dafür, dass unser Körper so schnell und effektiv wie möglich in den „fight or flight“-Modus gebracht wird. Denn Kampf oder Flucht sind seit Beginn der Menschheitsgeschichte die zwei besten Möglichkeiten, einer gefährlichen und somit angstbesetzten Situation zu begegnen.

Wer jedoch Angstpatient ist, der hat besonders häufig angstvolle Gedanken. Somit wird viel öfter Histamin ausgeschüttet, ohne dass dieser Neurotransmitter anschließend durch Kampf oder Flucht abgebaut würde. Stattdessen gehen die Betroffenen mehr und mehr zu einem Vermeidungsverhalten über, sodass der Histamingehalt in Blut und Stuhl zwangsläufig immer weiter ansteigt. Wer über Monate oder gar Jahre hinweg Tag für Tag mehr Histamin ausschüttet, als tatsächlich benötigt wird, der muss zwangsläufig erhöhte Histaminwerte haben und dementsprechend auch einen Mangel an Diaminoxidase (DAO), weil der Körper schlicht nicht mehr hinterherkommt, dieses für den Abbau von Histamin nötige Enzym ausreichend zu produzieren.

Fazit:

Die Aussage, dass eine Histaminintoleranz als Ursache für eine Angststörung in Frage kommt, ist FALSCH! Ein Histaminüberschuss im Blut und auch im Stuhl ist eine vollkommen normale körperliche Reaktion auf häufig wiederkehrende Ängste. Dieser verschwindet ganz von selbst, sobald die Angststörung überwunden wurde.

Bild: © Fotolia, Family Business, Nr. 111337138